Lutz Höhne

Interview mit Lutz Höhne

Die Verwendung von Amalgam ist weder gesundheitlich noch ökologisch vertretbar

Amalgam sollte nicht länger als Zahnfüllung verwendet werden, sagt der 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-ZahnMedizin, Lutz Höhne. Denn das Material setzt Quecksilber frei und macht Patienten dadurch krank. Höhne plädiert zudem dafür, bestehende Amalgam-Füllungen zu entfernen − auch wenn dies Herausforderungen mit sich bringt.

 

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Herr Höhne, Amalgam war lange Zeit das Mittel erster Wahl für Zahnfüllungen. Inzwischen ist die Verwendung jedoch umstritten. Ist die Kritik Ihrer Ansicht nach berechtigt?

Lutz Höhne: Absolut. Man kann nicht einerseits mit dem Minamata-Übereinkommen den technischen Ausstieg aus der Verwendung von Quecksilber wegen gesundheitlicher Probleme beschließen, um dann den Gebrauch im oralen Bereich für unproblematisch zu erklären. Die Korrosionsrate, also der Grad der Zersetzung, des Amalgams ist viel zu hoch, um es weiterhin als Medizinprodukt zu verwenden. Bereits eine Füllung reicht aus, um Quecksilber im Speichel, im Stuhl oder sogar im Blut nachzuweisen. Und kein Mensch braucht Quecksilber als Spurenelement. Es gibt bestimmte DIN-Normen für die Korrosionsraten von Legierungen. Diese gelten jedoch nicht für Amalgam. Der Einfachheit halber wurde definiert, dass man für Amalgam andere Untersuchungsmethoden braucht. Grenzwerte wurden jedoch nie festgelegt.

Mensch und Umwelt sind dem giftigen Quecksilber über die Nahrung sowie die Kohleverbrennung bereits genug ausgesetzt. Zwar weist nicht jeder Mensch eine amalgambedingte Symptomatik auf. Gerade chronisch erkrankte Menschen aber leiden unter dem Einfluss des Quecksilbers. Studien der letzten Jahre zeigen einen enormen Zuwachs an chronischen Erkrankungen. Wie lange wollen wir es uns leisten, eine Gesellschaft mit zunehmend kranken Menschen zu produzieren? Eine präventive Denkweise wäre hier ein wichtiger Ansatzpunkt.

Trotz der anhaltenden Kritik sind Amalgam-Füllungen oft weiterhin fester Bestandteil der Zahnbehandlung. Wie vertretbar ist die Verwendung Ihrer Ansicht nach aus ökologischer und gesundheitlicher Perspektive noch?

Lutz Höhne: Es ist in meinen Augen überhaupt nicht vertretbar, weder gesundheitlich noch ökologisch. Zwar ist eine Verwendung von Kunststoffen sicher auch nicht unproblematisch. So hat beispielsweise die zuständige Kommission in Brüssel, das Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks, im Rahmen der Ausstiegsdiskussion darauf hingewiesen, dass oral verwendete Kunststoffe in keiner Weise umfassend auf ihre gesundheitliche Wirkung hin untersucht wurden. Somit fehlt es unter anderem an Forschungsergebnissen über chemische Veränderungen der Kunststoffbestandteile bei der Verstoffwechslung im menschlichen Körper und an der Entwicklung von Nachweismethoden unserer Kunststoffbestandteile in Körpergeweben und Flüssigkeiten. Doch dieses Nichtwissen als Argument zur weiteren Verwendung von Amalgam zu gebrauchen, ist natürlich sehr zweifelhaft.

In Ihrer Praxis behandeln Sie unter anderem Menschen, die aufgrund von Materialunverträglichkeiten mit schweren Folgen kämpfen. Mit welchen Symptomen und Krankheitsbildern kommen Patienten am häufigsten zu Ihnen?

Lutz Höhne: Eine sehr gute Frage. Bei chronisch kranken Menschen liegt meist keine monokausale Problematik vor. Hier führen verschiedene Belastungen zu einer höchst individuellen Symptomatik. In fast allen Fällen finden wir einen Verlust an Immunintoleranz und es ist höchst schwierig, die unterschiedlichen Belastungen zu erkennen und zu gewichten. Amalgam hat eine extrem hohe Freisetzungsrate von Metallen. Dadurch blockiert es Enzymsysteme und hat darüber hinaus eine toxische Wirkung. Das zeigt sich etwa darin, dass es notwendige Spurenelemente aus ihren Eiweißbindungen drängt und eine Vielzahl von Eiweißen in ihrer Funktion einschränkt. Dazu kommt noch die Wechselwirkung von Metallen, die wir bisher klinisch noch überhaupt nicht untersucht haben.
Typische Bilder sind unter anderem Magen- und Darmbeschwerden, Gefäßprobleme, aber auch Erkrankungen im neurologischen beziehungsweise psychischen Bereich. Diese Zusammenhänge aufzudecken, ist sozusagen mein täglich Brot. Über das Studium von Langzeitprotokollen nach der Sanierung lernt man Symptomatiken im Vorfeld einer Behandlung besser einzuordnen. So habe ich von meinen Patienten gelernt, dass man mit einer ordentlichen Entfernung des Amalgams eine sehr effektive Methode gegen Heuschnupfen in der Hand hat.

Haben andere Füllmaterialien wie Komposit oder Keramik ebenfalls gesundheitliche Folgen für Patienten?

Lutz Höhne: Keramiken sind relativ unproblematisch, sofern sie im Labor korrekt verarbeitet werden. Kunststoffe können Allergien hervorrufen. Leider nehmen diese Unverträglichkeiten zu. Die Ursachen dafür werden allerdings oft andernorts gelegt, zum Beispiel in Nagelstudios, die mit den gleichen Inhaltsstoffen arbeiten. Wichtig ist eine gute Verarbeitung des Materials. Andernfalls können neben Allergien auch hormonelle Auswirkungen entstehen, wenn man bedenkt, dass weiterhin Kunststoffe auf dem Markt sind, die den hormonellen Schadstoff Bisphenol A als Verunreinigung beinhalten und freisetzen.

Sollten sich Patienten ihre bestehenden Amalgam-Füllungen Ihrer Meinung nach entfernen lassen? Welche Auswirkungen hat die Entfernung auf Mensch und Umwelt?

Lutz Höhne: Die Füllungen sollten auf jeden Fall entfernt werden. Natürlich ist es immer gefährlich, Sondermüll zu entfernen und als solchen müssen wir Amalgam entsorgen. Deswegen haben wir in Deutschland seit langer Zeit Amalgamabscheider in Betrieb. Mit der aktuellen Verordnung des Europaparlaments müssen die anderen EU-Länder nachziehen, das wird höchste Zeit. Schweden hat die Verwendung von Amalgam ganz verboten, um die Umwelt zu schützen.

Oft wird behauptet, man sollte die Amalgam-Füllungen besser im Mund belassen, da beim Herausnehmen zu viel Quecksilber und andere metallische Stoffe freigesetzt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob für Patienten eine geringe Freisetzung der Inhaltsstoffe über lange Zeit wirklich gesünder ist als eine kurzfristig hohe Konzentration beim Herausnehmen der Füllung, die selbst mit Schutzmaßnahmen nicht immer unvermeidbar ist. Leider werden die meisten toxikologischen Studien über kurze Zeit durchgeführt und nach einigen Monaten abgeschlossen. Langzeitstudien mit niedrigen Freisetzungen, Wechselwirkungen mit anderen Metallen sowie unterschiedlichen genetischen Voraussetzungen werden kaum durchgeführt. Insofern bewegen wir uns hier im Bereich von Vermutungen. Die klinische Erfahrung zeigt uns aber immer wieder, dass erstaunliche Veränderungen durch das Entfernen von Amalgam möglich sind.

Die größte Gefährdung beim Entnehmen der Füllung besteht ganz sicher für das zahnärztliche Team, da wir permanent Quecksilberdämpfe inhalieren. Zu bedenken ist auch, dass in der Gebührenordnung für Zahnärzte das Entfernen einer Amalgamfüllung, sprich Sondermüll, nicht honoriert wird. Dazu ein Beispiel: Ein Dachdecker wird wohl kaum ein Asbestdach kostenlos abdecken, weil er ja mit der Neueindeckung des Dachs genug verdient. Um es sachlicher zu formulieren: Patienten sollten von Ihrem Zahnarzt nicht den Austausch von Amalgam mit allen Schutzmaßnahmen zum Nulltarif verlangen. Denn dies muss sehr gewissenhaft erfolgen, wenn ihnen die Gesundheit etwas wert ist. Weil gerade die chronisch kranken Patienten einen Verlust ihrer Immuntoleranz erlitten haben ist es allerdings extrem wichtig, neu einzubringende Werkstoffe im Vorfeld auf ihre Verträglichkeit hin zu untersuchen, ansonsten läuft man Gefahr, Patienten noch mehr zu schädigen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Höhne.